Urteil des EuGH vom 11.12.2019, Rs C-708/18
Der zugrundeliegende Fall des vorlegenden Gerichts betraf die Frage der Rechtmäßigkeit einer Videoüberwachung (VÜ) in einem Mehrparteienhaus. Ein Miteigentümer hatte der Videoüberwachung nicht zugestimmt. Das System mit mehreren Kameras wurde aufgrund mehrerer Delikte gegen das Eigentum (Sachbeschädigung, Vandalismus etc.) eingerichtet, da sich andere Maßnahmen, wie ein davor installiertes Zutrittskontrollsystem als unwirksam erwiesen hatten. Der Beschwerdeführer TK forderte die Demontage bzw. Außerbetrieb-Setzung der Anlage, sie verstoße gegen das Recht auf Achtung des Privatlebens: Er habe der Anlage nicht zugestimmt und sehe das nationale Recht die Zustimmung zwingend vor. Bei der Beurteilung des Falls formulierte das Gericht vier Vorlagefragen zum EuGH betreffend die RL 95/46EG (DS-RL).
Der EuGH wiederholte in weiten Teilen seine Rechtsprechung zum Anwendungsbereich der DS-RL (C212/13, C-131/12) und sprach weiter aus, dass für
eine VÜ keine Einwilligung erforderlich ist (Art. 7 lit. f der DS-RL (nunmehr Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO). Weiter, dass jede Datenverarbeitung den Grundsätzen nach Art. 6 der DS-RL (nunmehr Art. 5 DSGVO) genügen muss und zumindest in einem Eingriffstatbestand nach Art. 7 der DS-RL (nunmehr Art. 6 DSGVO) Deckung zu finden hat. Art. 7 lit. f der DS-RL gestattet die Verarbeitung unter drei kumulativen Voraussetzungen:
- Wahrnehmung eines berechtigten Interesses;
- Erforderlichkeit der Verarbeitung und
- kein Überwiegen der Rechte und Freiheiten anderer.
Der Schutz des Eigentums, der Gesundheit und des Lebens der Miteigentümer eines Gebäudes können demnach als berechtigte Interessen angesehen werden. Diese müssen zum Zeitpunkt der Verarbeitung entstanden und vorhanden sein und dürfen zu diesem Zeitpunkt nicht nur hypothetisch sein – es ist jedoch nicht zwingend, dass die Sicherheit des Eigentums der Personen bereits zuvor beeinträchtigt wurde. Die Erforderlichkeit der Verarbeitung (als zweite Voraussetzung nach Art. 7 lit. f der DS-RL) verlangt, dass das angestrebte Ziel nicht mit weniger eingriffsintensiven Datenverarbeitungen erreicht werden kann (Datenminimierungspflicht nach Art. 6 Abs. 1 lit. c der DS-RL, nunmehr Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO). Es ist zu unterscheiden, ob Daten aus öffentlich zugänglichen Quellen stammen oder aus nicht öffentlich zugänglichen Quellen. Für eine Abwägung der Interessen iSd Art. 7 lit. f der DS-RL sind die berechtigten Erwartungen der betroffenen Person zu berücksichtigen, dass ihre Daten nicht verarbeitet werden, wenn diese Person unter den konkreten Umständen vernünftigerweise nicht mit einer Weiterverarbeitung der Daten rechnen kann.